Wie überall auf der Welt haben die Betuchten auch in Aktau die besten Grundstücke an der Küste gekauft und blockieren so über viele Kilometer den direkten Zugang zum Meer. Wir haben heute auch nicht die Zeit, in Ruhe einen Zugang zum Wasser einschließlich attraktiver Fotoposition zu suchen.
Wir haben beschlossen, das Festival in der Steppe zu besuchen. Weil wir mit Aktau schon so vertraut sind, benötigen wir diesmal nur zwei Anläufe, um die Stadtausfahrt zu finden. Zu unserer Ehrenrettung: Es gibt in der ganzen Stadt keine Hinweisschilder oder Wegweiser, keine Straßennamen. (Die Niederlassung der OMV haben im Vorbeifahren entdeckt.)
Nicht weit nördlich von Aktau liegt eine riesige Nekropole mit sehr alten Grabdenkmälern, aber auch mit Grabstätten jüngeren Datums. Beim Eingang meint ein Mann, ich dürfe hier nicht fotografieren. Als ich ihn einfach nicht verstehen kann, gibt er auf.
Die Grabstätten hinterlassen starke Eindrücke. Viele bedeutende Menschen scheinen hier bestattet zu sein, aber auch viele sehr früh Gestorbene. Und die Angehörigen beweisen durch die Gestaltung der Gräber, dass ihnen die Verstorbenen viel wert gewesen sind.
Nach mehrstündiger Fahrt kommen wir am Ort des Festivals an. Die Jurten stehen in einem weiten Bogen in der Steppe und ergeben für uns ein sehr exotisches Bild. Auch wenn der erste Festivaltag meist schwächer besucht sein soll als der zweite Tag, ist schon eine große Besucherzahl eingetroffen. Die Jurten sind nummeriert, die Open Air – Bühne steht in einiger Entfernung, die Pferderennbahn ist als braunes Oval im Grün der Steppe noch weiter draußen erkennbar.
Wir schaffen es vom Steppen-Parkplatz gerade einmal bis zur ersten Jurte. Sie ist schon voll besetzt, aber wir müssen vor dem Eingang die Schuhe ausziehen und Platz nehmen. Die Frauen rücken ein bisschen zusammen, es ist Platz für alle. Wären die Tische höher, würden sie sich wohl noch mehr unter der Last der Speisen biegen.
Sind wir bisher der Meinung gewesen, dass hier ein kommerzielles Festival stattfindet, werden wir eines nun eines Besseren belehrt. Es ist ein Treffen verschiedener Familien-Clans der Region. Was auf den Tisch kommt, muss nicht nur gegessen werden, sondern kostet auch nichts. Und „alles vom Pferd“.
Es sind absolute Leckerbissen, die mir vorgesetzt werden, auch wenn sie manchmal für mich nicht sehr appetitanregend aussehen. Sehsinn ausgeblendet und durch. Es ist überhaupt nicht schlimm, denn jede einzelne Kostprobe ist delikat zubereitet. Und so schmeckt es nach mehr. Dass Gerlinde nur vegetarisch isst, wird sofort akzeptiert. Allerdings habe ich den Eindruck, dass man mich mästen will. Als ob mein Übergewicht noch zu gering wäre.
Mein Fotografieren und Filmen muss ich kurz unterbrechen, denn der Imam hält eine kurze Ansprache, auf die ein gemeinsames Gebet folgt. Die Frauen zeigen mir, wie ich die Hände zu halten habe.
Eine Frau mittleren Alters spricht mit mir Deutsch, eine andere Englisch. Gerlinde hat ein 11jähriges Mädchen als Gesprächspartnerin gefunden. Die Mutter ist stolz auf die Tochter, ohne allerdings die Unterhaltung zu verstehen. Überhaupt haben wir längst den Eindruck gewonnen, dass die Großfamilien sehr bewusst und kultiviert mit ihrer Geschichte umgehen.
Alle lassen sich fotografieren und filmen. Es ist heiß in der Jurte und mir tropft der Schweiß von der Stirn auf die Kamera. Wir bedanken uns für die Gastfreundschaft und verlassen die Jurte. Wir haben unsere Sandalen noch nicht angezogen, werden wir bereits in Jurte 3 geholt. Der junge Mann, den wir bereits vom Vortag kennen, hat uns schon erwartet. Es hat sich schon herum gesprochen, dass Fremde hier sind, und so werden wir auch hier begutachtet, allerdings auf eine sehr unaufdringliche Art.
Die Einladung zum Essen müssen wir leider abschlagen, wir haben schon zu viel gegessen. „Wenigstens eine Kostprobe!“ Die Gefahr von Übelkeit müssen wir ignorieren, wollen wir nicht unhöflich sein. Zwischen den einzelnen Kostproben drehe meine Runden im Zelt, fotografierend und filmend. Der Schweiß tropft vermehrt von der Stirn, mein Polo-Shirt bekommt dunkle Flecken.
Die Durchsage, dass das Rennen der vierjährigen Pferde bereits gestartet ist, bringt Bewegung in die Jurte. Die meisten Besucher drängen ins Freie – ich bin gerettet, denn ich bin an der frischen Luft! Die Rennbahn ist weit, also hinein ins Auto und losgefahren. Ich parke nur wenige Meter neben dem Rundkurs, baue Stativ samt Videokamera im Innenraum der Rennbahn auf. Natürlich möglichst nahe dem Rand. Ein junger Polizist kommt auf mich zu und meint beinahe verlegen, dass mein Stativ zu nahe am Rennkurs stehe.
Mir kommen meine früheren „pädagogischen Qualitäten“ in den Sinn: Ein scharfer Blick, Augenbrauen zusammen gezogen, Lippen leicht zuammengepresst – jetzt weiß der junge Mann, dass er sich in Gefahr begibt. So reicht 1m Positionsveränderung. Das Rennen geht über 21 km und es hört sich auch im Video das Schnauben der Pferde beim Vorbeigaloppieren stark an.
Das Rennen ist beendet, der Sieger ermittelt. Schon gibt es Action auf der Open Air Bühne. Einheimische Musiker spielen traditionelle Instrumente. Als der Akku der Videokamera leer ist, machen wir uns auf den Rückweg nach Aktau, wo wir lange nach Mitternacht ankommen.