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Samstag, 9. Juni 2012

Bis ins Niemandsland 04.06


Am Morgen  schleppt der Hotelportier unser gesamtes Gepäck zum Auto, das immerhin mehr als 30 m vom Hoteleingang geparkt ist, und nimmt auch nach gutem Zureden kein Trinkgeld an. Lange und oft fragen wir nach einem Reifendienst und müssen letztlich zur Kenntnis nehmen, dass ein Betrieb dieser Art in Atyrau nicht existiert. Ein Taxifahrer bringt uns zu einem Mechaniker, der exakt 7 aufgebrauchte Reifen auf Lager hat,. In einem Technomarkt sollen im 2.Stock Reifen lagern. Das Personal ist einigermaßen verwundert, hat es doch außer TV-Geräten und diversem Elektronikzubehör noch nichts anderes in der Abteilung gesehen.

Eine Verkäuferin gibt uns den entscheidenden Tipp: „Im 1.Stock!“ Dort finden wird die Lebensmittelabteilung, wo wir uns auf der Suche nach einem Reifen gleich mit Bananen und Äpfeln eindecken. Auch bei den Karotten finden wir keine Reifen.

Hinter dem Supermarkt hat ein kleiner Autohändler seinen Betrieb. Viele Reifen sind hier nach Dimensionen  gelagert. Eine Lücke klafft. Genau die von uns benötigte Reifengröße fehlt! Ich erinnere mich an so manchen merkwürdigen Ersatzreifen in Österreich. Die Dinger schauen am Auto häufig ziemlich lächerlich aus, müssen auch nach wenigen Kilometern ausgetauscht werden. So kaufen wir einen Reifen, der um eine Spur kleiner ist als vorgesehen, in der Hoffnung, er möge nie gebraucht werden.

Trotzdem wollen wir einen vollwertigen Reifen. Es bleiben jetzt nur noch die Neuwagenhändler. Weit ist der Weg. Beim Händler einer japanischen Automarke werden wir am Eingang der pompösen Niederlassung wie in einem  *****-Hotel  empfangen. Die Rezeptionistin  ruft einen jungen Mann , der uns weiterreicht an eine sehenswerte Schreibtischlandschaft. Dort wird uns mehrstimmig mitgeteilt, dass die von uns benötigte Reifendimension leider nicht vorrätig sei. Aber bei RENAULT gebe es diesen Reifen, es seien nur wenige hundert Meter dorthin.

Wir fahren los, finden eine große Händlerniederlassung samt Werkstätten. Mehrere Automarken betreiben den Betrieb in Kooperation. RENAULT ist leider nicht dabei. Jetzt ist der Blutdruck wohl am Anschlag. Wir lassen den völlig verstaubten Luftfilter reinigen, lassen die Felgen ummontieren. Der Original(-reserve)reifen kommt auf seine Originalfelge und wird montiert. Der kleinere Reservereifen darf im Kofferraum verschwinden. Der Motorraum wird  vom Staub befreit.

2 Mechaniker haben sich um den Duster gekümmert. Knapp 45 Minuten haben sie sorgfältig gearbeitet, ich habe alles kontrolliert. Wir bereiten uns auf eine saftige Rechnung vor. 7 neugierige Firmenangehörige und einige Kundschaften haben sich um uns versammelt, wohl um uns zusammenbrechen zu sehen. Auch der Chef ist dabei. „Kostet nix!“ meint er trocken und treibt sein Personal zur Arbeit.

Ob wir uns auf Promotion-Tour befänden? „Ja natürlich!“. Die Frage des Betriebsleiters  nach den Kosten einer Arbeitsstunde in Österreich lasse ich lieber unbeantwortet. Was kostet eine Stunde doch gleich?

Wir sind wieder zurück in Beyneu und sollten jetzt ohne Probleme die internationale Route zur usbekischen Grenze finden. Wir müssen ja nur den Trucks nachfahren. Weit und breit kein Truck in Sicht. Keine internationale Route zu finden. Da kommt mir eine 20jähriger Bursche gerade recht, den wir um  Auskunft bitten wollen. Sein Kopf und die Finger der rechten Hand kommen durchs geöffnete Seitenfenster herein, Daumen und Zeigefinger reiben sich aneinander und „Money!“ will der Typ für die Auskunft haben. Solche Leute habe ich schon immer geliebt! Ich erleide eine allergische Reaktion und der Bursche kann nur noch betroffen und ziemlich … dreinschauen.

Mit Hilfe eines Polizisten sind wir am richtigen Weg angekommen. Die 80 km zur Grenze sind unbefestigt, aber einigermaßen passabel zu fahren. Als wir uns der Grenze nähern, fahren wir an gezählten 170 LKW vorbei. Das große Tor zur Grenze ist geschlossen, die Ampel zeigt Rot.  Wenn der Traktor mit dem Wasserfass zur Bewässerung des Rasens  weggefahren ist, können wir in den Zollbereich.

Um 21.00 Uhr beginnen wir mit der Erledigung der Zollformalitäten. Vor uns steht ein schweres, dunkles Allradauto mit usbekischem Kennzeichen. Ein älterer Herr steigt aus dem Wagen und blickt nervös um sich. Jetzt beginnt er in seinen zahllosen Hosen- und Westentaschen zu kramen. Entweder bereitet er einen Korruptionsversuch vor oder er will Drogen schmuggeln! Aus einer Gesäßtasche fischt der Verdächtige einen Gegenstand heraus, den wir nicht gleich erkennen können,  dreht sich noch einmal beobachtend um und … steckt sein Gebiss in den Mund!  Ein Goldzahnschmuggler!

Wir kennen das umständliche Prozedere an den Grenzen nun schon sehr gut, können deshalb gelassen und freundlich bleiben. Die Grenzbeamten sind äußerst freundlich und plaudern gerne. Trotzdem erleiden wir allein auf kasachischer Seite 5 Passkontrollen. Schließlich haben wir alle Formalitäten erledigt, alle Papiere sind in Ordnung. Das Tor ins Niemandsland öffnet sich für uns. Es ist 22.00 Uhr.

Wir sind eingekeilt zwischen Trucks, PKW und zahlreichen Menschen, die mit teilweise riesigen Gepäckstücken die Grenze passieren wollen. Die Trucker sind ein gesprächsbereites Völkchen und scheinen unkompliziert. Es gibt genügend Gesprächsstoff . Es scheint jetzt der völlige Stillstand im Grenzverkehr erreicht. So erwarten wir den neuen Tag im Niemandsland zwischen Kasachstan und Usbekistan.

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